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Hinweise für die Untersuchung

Die Patientin soll auf die wahrgenommenen Indikatoren häuslicher Gewalt angesprochen werden. Empathisches Verhalten und die Zusicherung, das Gespräch entsprechend der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht vertraulich zu behandeln, sind grundlegende Voraussetzungen.

 

Aus den in den Vorkapiteln genannten Gründen ist es wichtig, die Patientin immer direkt anzusprechen, ihr Vertrauen zu gewinnen, ihr zu versichern, dass das Gespräch im Rahmen des Berufsgeheimnisses vertraulich bleibt. Zu beachten sind dabei jedoch gesetzliche Anzeige- und Meldepflichten! (Siehe auch: Anzeige- und Meldepflicht Österreich sowie Anzeige- und Meldepflicht Italien) Es ist wichtig, der Patientin zuzuhören, nicht zu werten, keine Kommentare abzugeben, nicht inquisitorisch zu wirken, sondern einfühlsam, tröstend, unterstützend, emotional präsent zu sein und – wichtig! – sich Zeit zu nehmen („Wenn du dich mir anvertrauen willst, höre ich dir zu!“). Auch wenn die Patientin den Verdacht auf Gewalt nicht sofort bestätigt, kann ihr vermittelt werden, dass sie sich anvertrauen kann, dass sie nicht allein ist und dass sie aus der Gewaltsituation ausbrechen kann.
Im Hinblick auf die Gefahr zukünftiger gesundheitlicher oder sogar tödlicher Gewaltfolgen kann es notwendig sein, die Betroffene in Sicherheit zu bringen, indem ihr z. B. ein stationärer Krankenhausaufenthalt angeboten wird bzw. Gewaltschutzzentren/Frauenhäuser kontaktiert werden, die sie vor der gegenwärtigen Gefahrensituation schützen.
In der Anamnese ist es wichtig, den gleichen Wortlaut wie die Patientin zu benutzen (z. B.: „Er hat mich geschlagen“, „Er ist mit einem Stock auf mich losgegangen!“).
Die objektive Untersuchung soll sorgfältig und vollständig sein, die Beschreibung/Bewertung aller Verletzungen präzise. Wichtig ist eine Abbildung/Zeichnung („Silhouette“) des Körpers, auf der der genaue Ort der Verletzung, ihre Größe, der Zeitpunkt, der Zustand der eventuellen Vernarbung etc. eingezeichnet wird. Am besten ist es, alles fotografisch festzuhalten!
Ebenso wichtig ist es, der Patientin eine genaue Dokumentation ihres gesundheitlichen Zustandes zu übergeben, mit gründlicher Beschreibung der erlittenen Verletzungen, auch der kleinsten Traumata, wenn möglich mit Fotos.
Informationsmaterialien wie Flyer, Telefonnummern u. Ä. von Unterstützungs- und Beratungseinrichtungen mit spezifischer Kompetenz im Bereich häuslicher Gewalt und Gewalt gegen Frauen sollen ausgehändigt werden.
Die Patientin soll über die Anzeige- und Meldepflicht informiert werden sowie über ihre Möglichkeit, frei zu entscheiden, ob sie Anzeige erstatten will, wobei zu beachten ist, ob es sich um ein Antragsdelikt handelt. (Siehe auch: Gesetzliche Grundlagen: Italien sowie Österreich)
Von wesentlicher Bedeutung ist es, der Patientin zu versichern, dass abgesehen von gesetzlichen Anzeige- und Meldepflichten nichts ohne ihr Einverständnis passieren wird und nur sie allein über ihre Zukunft entscheiden kann.

Zusammenfassung:
Eine Frau, die häusliche Gewalt erfahren hat und das Krankenhaus verlässt, soll von Folgendem überzeugt sein:

  • Es gibt kompetentes Personal für ihre Bedürfnisse, nicht nur im medizinischen Sinne, sondern auch hinsichtlich des geeigneten Umganges mit der Komplexität der Gewaltproblematik.
  • Es ist ihr geglaubt worden.
  • Man hat ihr zugehört.
  • Niemand hat ihr Verhalten bewertet.
  • Sie konnte frei über ihre Zukunft entscheiden.
  • Sie hat Informationen bekommen, die ihr dabei helfen, sich weitere Schritte zu überlegen und Entscheidungen zu treffen.