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Gynäkologische Ambulanz

Viele Studien besagen, dass Frauen mit chronischen Unterbauchschmerzen, rezidivierenden vaginalen Infektionen, sexuell übertragbaren Krankheiten, unerwarteten Schwangerschaften, wiederholten Schwangerschaftsabbrüchen, mangelhafter Compliance oft Opfer häuslicher Gewalt sind.

 

Einer britischen Studie zufolge vergehen von der ersten Misshandlung bis zum Zeitpunkt, an dem Frauen Hilfe von außen in Anspruch nehmen, durchschnittlich sieben Jahre.

Häusliche Gewalt ist ein ernstes und häufiges Problem, das volksgesundheitlich relevant ist und die Menschenrechte verletzt. Es gibt bekannte Risikokonstellationen für Opfer häuslicher Gewalt (siehe unten), grundsätzlich kommt sie jedoch in allen Altersgruppen, sozialen Schichten, Religionen und Nationalitäten vor, in heterosexuellen ebenso wie in homosexuellen Beziehungen. Dieses scham- und schuldbesetzte Tabuthema bleibt sehr oft unentdeckt oder wird bewusst versteckt. In den letzten Jahren kristallisiert sich immer mehr heraus, dass ein Screening zu diesem Thema sinnvoll ist und zu einem Kulturwandel führen kann.

Risikokonstellationen

  • Frauen häufiger betroffen als Männer
  • jünger als 35 Jahre
  • alleinstehend
  • geschieden oder getrennt
  • Alkohol- oder Drogenabusus in der eigenen Geschichte oder beim Partner
  • Raucher
  • Erwachsene mit Gewalt in der eigenen Kindheit (lt. WHO weltweit 1 von 5 Mädchen und 1 von 10 Buben erleben sexuellen Missbrauch in ihrer Kindheit)
  • häusliche Gewalt beginnt oft in der Schwangerschaft

 

Fakten

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat eine Studie über „Frauengesundheit und häusliche Gewalt“ durchgeführt, an der sich 10 Länder beteiligt haben. Es zeigten sich folgende Ergebnisse:

  • 15–71 % der Frauen berichten über physische oder sexualisierte Gewalt durch den Ehepartner oder Lebensgefährten.
  • Viele Frauen berichteten, dass die erste sexuelle Erfahrung nicht im gegenseitigen Einverständnis geschah (24 % ländliches Peru, 28 % Tansania, 30 % ländliches Bangladesh, 40 % in Südafrika).
  • 4–12 % berichteten über physische Gewalt in der Schwangerschaft.

 

Kulturelle Wurzeln der Gewalt

Die westliche Welt ist patriarchalisch geprägt und hat durch die Emanzipation eine Annäherung in der Gleichberechtigung der Geschlechter begonnen. Erst 1948 wurde in Italien das Wahlrecht für die Frau eingeführt. Bis in die 50er-Jahre gab es das „Delitto d’onore“, wonach ein betrogener Ehemann seine ertappte Ehefrau töten durfte, ohne dafür bestraft zu werden. Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen der Rollenverteilung zwischen Mann und Frau, Sexualität und häuslicher Gewalt.
Anders ausgedrückt: Häusliche Gewalt ist ein Teilbereich eines Problems, das viel komplexer ist. Wenn wir davon ausgehen, dass Mädchen immer noch als brav, fleißig, strebsam, lieb, verschmust und friedfertiger gelten und Jungen als ungestüme Raufbolde, die abenteuerlustig nach neuen Herausforderungen suchen und sich austoben müssen, so wird uns klar, dass diese frühkindliche Prägung unser weiteres Handeln im Erwachsenenalter bestimmen wird. Es ist auch leichter nachvollziehbar, warum Frauen, die häusliche Gewalt erleben – was ja nichts anderes ist als Gewalt durch Menschen, die uns sehr nahe stehen – dieser von außen betrachtet oft untragbaren Situation nicht früher entgehen können. „Am Anfang war er doch so nett“ ist ein ebenso häufig gehörter Satz wie: „Aber ich liebe ihn doch!“ Solche Aussagen signalisieren immer wieder die Bereitschaft der Frau zu einem Neuanfang und die Hoffnung auf Veränderung. Doch es folgen weitere Erniedrigungen und Beleidigungen. Irgendwann wird das erste Mal geschubst, dann gibt es die erste Ohrfeige. Das Opfer verliert zunehmend an Selbstbewusstsein, klammert sich an die Hoffnung, „dass er das alles nicht so meint“ und „wieder alles gut wird“. Vielfach beginnt das Opfer sogar, sich selbst die Schuld zu geben. Niedergeschlagenheit und Depressionen sind die Folge, verbunden mit zermürbendem Grübeln und Schlafstörungen oder anders gelagerten psychosomatischen Beschwerden.
Wenn wir diesen Mechanismus verstehen, so wissen wir, warum es so schwierig ist, dem Kreislauf von mangelndem Selbstwertgefühl, Abhängigkeit und Schuldgefühl zu entkommen.

 

Ansprechpartner

Erfahrungsgemäß können wir im klinischen Alltag Frauen, die Gewaltsituationen ausgesetzt waren, nicht herausfiltern, wenn wir nicht gezielt danach fragen. Üblicherweise wenden sich betroffene Frauen nur dann an eine Ärztin/einen Arzt, wenn sie Angst vor dauerhaften Folgeerscheinungen oder einer schweren Verletzung haben,oder ihrem gewalttätigen Partner entkommen möchten – im Sinne eines „stillen Hilferufs“.
Lt. Gesetz sind Ärztinnen/Ärzte verpflichtet, bereits bei Verdacht auf Gewalteinwirkung eine Meldung an die Polizei oder das Jugendgericht (in Österreich: die Jugendwohlfahrt) zu erstatten. Doch wie ist zu erklären, dass bei einer so hohen Zahl an Frauen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, Meldungen über offizielle Stellen so selten sind? Ärztinnen/Ärzte und Pflegepersonal fühlen sich oft überfordert und nicht kompetent im Umgang mit der Gewaltproblematik. Sie wissen teilweise nicht, welche Unterstützung angeboten werden kann, da sie nicht über das vorhandene Betreuungsnetz informiert sind, oder sie sehen keinen Handlungsbedarf, da sie die gesellschaftlichen Mythen und Vorurteile gegenüber gewaltbetroffenen Frauen teilen. (1) Selbst wenn ein Zusammenhang zwischen den Beschwerden/Verletzungen und häuslicher Gewalt offensichtlich ist, wird der Gewalthintergrund nur selten angesprochen.

 

Gynäkologische Ambulanz

Viele Studien sagen uns, dass Frauen mit chronischen Unterbauchschmerzen, rezidivierenden vaginalen Infektionen, sexuell übertragbaren Krankheiten, unerwarteten Schwangerschaften, wiederholten Schwangerschaftsabbrüchen, mangelhafter Compliance oft Opfer häuslicher Gewalt sind. Um aus der Routineambulanz die Fälle häuslicher Gewalt herauszufiltern, wird von mehreren Organisationen – darunter auch dem Massachusetts Medical Society Committee on Violence – empfohlen, routinemäßig nach Gewalt in der häuslichen Umgebung zu fragen: „Fühlen Sie sich zu Hause sicher?“, „Wurden Sie in letzter Zeit von ihrem Partner geschubst, gestoßen oder verletzt?“, „Waren Sie jemals in einer Beziehung, in der Sie geschlagen wurden“, „Haben Sie Freunde, die Sie aufnehmen können, bei denen Sie sicher sind?“ Alle ambulanten Visiten sollten nur mit der Patientin (ohne Partner), in ruhiger Umgebung und mit ausreichend Zeit durchgeführt werden. Sollte sich der Verdacht auf häusliche Gewalt ergeben, ist es angebracht, ein zweites Gespräch oder eine zweite Visite einzuplanen. Diese muss außerhalb der Routineambulanz stattfinden, um der Frau die nötige Ruhe und Aufmerksamkeit geben zu können.

 

Zusammenfassung

Gewalterfahrungen wirken sich auf die psychische, soziale und körperliche Gesundheit von Frauen aus. Die derzeitige medizinische Versorgungssituation weist in der Betreuung betroffener Frauen noch Lücken auf. Die Behandlung und Versorgung gewaltbedingter Verletzungen und Erkrankungen verursacht hohe Kosten. Deshalb ist der systematische Aufbau von Interventions- und Präventionsmöglichkeiten gegen Gewalt auch im Bereich der gesundheitlichen und medizinischen Versorgung notwendig. Er kann mit dem Einführen einfacher, routinemäßig gestellter Fragen beginnen und muss Hand in Hand gehen mit einem kulturellen Wandel, in dem Frauen und Mädchen lernen, ihr Selbstvertrauen zu stärken und Schuld- und Schamgefühle abzubauen.

 

Literatur:

(1) Mc Cauley, J. et al.: Adressing Intimate Partner Violence in Family Care Practice. In: Medscape Today, 1998. www.medscape.com.